16. Dezember 2017

NZZ-Gujer auf „No-Billag“-Kurs – eine Replik

NZZ-Chefredaktor Eric Gujer schlägt in seinem Leitartikel „Die Schweiz braucht keine Staatsmedien“ schrille Töne an. Er übernimmt über weite Strecken die Argumente der „No-Billag“-Truppe, die mit ihrer Volksinitiative die SRG zerschlagen will. Diese nimmt als Kollateralschaden in Kauf, dass viele private Radio- und TV-Sender mit substanziellem Gebührenanteil genauso verschwinden würden. Diego Yanez* mit einer Replik zu den wesentlichsten Punkten.

  • Eric Gujer bringt ganz im Sinne der Initianten Pay-TV-Angebote ins Spiel, so zum Beispiel Netflix. Dieser Streaming-Dienst kostet pro Monat zwischen 12 und 20 Franken. Dafür erhält man Spielfilme und Serien, aber keine Tagesschau, kein Tennis-Duell Federer vs. Nadal, kein Regionaljournal, keinen Bestatter, kein Echo der Zeit, keinen Schweizer Fussball und keine Schweizer Dok-Filme. Ab 1. Januar 2019 kostet das gesamte viersprachige SRG-Paket 365 Franken pro Jahr. Zu diesem Preis wird der Markt nie ein auch nur ein annährend vergleichbares Angebot zur Verfügung stellen können. Die Zerschlagung der SRG käme uns nicht nur demokratiepolitisch teuer zu stehen.
  • „Warum sollen die Zuschauer nicht freiwillig – wenngleich sicher weniger als bisher – für das SRF-Programm zahlen, wenn dieses so gut ist, wie seine Macher behaupten“, polemisiert Gujer. Damit wären wir bei einer privaten SRG, die sich über den Markt finanzieren müsste. Der kleine, mehrsprachige Schweizer Markt ist zu klein für eine solche Lösung. Es ist eine nüchterne Tatsache: 90 Prozent der SRF-Sendungen sind über den Markt nicht zu finanzieren. NZZ-Redaktor Rainer Stadler schrieb diese Woche: „Es verwundert auch, dass einige Exponenten weiterhin behaupten, eine private SRG könne sich längerfristig als Abonnements-Sender behaupten. Wer solches sagt, ist unredlich, oder hat keine Ahnung von medienökonomischen Zusammenhängen.“ Stadler ist seit vielen Jahren der Medienexperte der NZZ.
  • Sollte die Initiative angenommen werden, zeige „die Masseneinwanderungsinitiative, dass das Parlament durchaus zu kreativen Lösungen fähig ist.“ Das behaupten auch die Initianten. Dass die NZZ jetzt ins gleiche Horn stösst, erstaunt. Im Gegensatz zur Masseneinwanderungsinitiative ist „No Billag“ glasklar formuliert. Per 1. Januar 2019 gäbe es keine Gebühren mehr und eine Subventionierung durch den Bund wäre nicht zulässig; die Formulierungen des Initiativ-Textes lassen keinen Interpretationsspielraum zu. Es ist eine Illusion zu glauben, dass diese Initiative im Fall einer Annahme nicht umgesetzt würde.
  • Gujer streicht die Überalterung des SRF-Publikums hervor. Das Durchschnittsalter des SRF-TV-Publikums ist mit 58 Jahren tatsächlich hoch. Dies ist allerdings kein SRF-spezifisches Problem. Mit Ausnahme der Pendlerblätter stellen heute praktisch alle Medien eine Überalterung ihrer Kunden fest – auch die NZZ.
  • Gujer beklagt die Medienkrise, die die privaten Medien hart trifft. Fusionen, Entlassungen, Zusammenlegungen – ja, der Kampf ist hart und bisweilen dramatisch. Und eine Lösung ist nicht in Sicht. Dem stellt Gujer eine SRG gegenüber, die sich dank der Finanzierung durch die Öffentlichkeit sicher wähnen darf. Aus den Zeilen ist Neid zu spüren, den ich durchaus verstehen kann. Wenn aber der Eindruck entsteht – direkt oder indirekt – den privaten Medien ginge es ohne SRG besser, ist dies absurd. Diese haben vor allem mit zwei Probleme zu kämpfen: Erstens mit dem Abfluss der Werbung zu Facebook, Google & Co. Zweitens mit dem veränderten Medienverhalten der Konsumenten. Beide Entwicklungen gäbe es auch ohne SRG. Mit anderen Worten: Die Zerschlagung der SRG würde die grundlegenden Probleme der privaten Medien nicht lösen.
  • Gujer schreibt, die Nation versammle sich nicht mehr um das „Lagerfeuer Fernsehen“. Zur Erinnerung: noch immer schauen jeden Tag über 600'000 Menschen die Hauptausgabe der Tagesschau, an Spitzentagen sind es sogar 800'000. Livesport überspringt ab und zu gar die Millionenmarke. Insgesamt erreichen die SRG-Sender mit ihren Radio- und TV-Programmen jede Woche 94 Prozent der Bevölkerung. Dass das Publikum insgesamt schwindet, stimmt. Doch das ist kein SRG-Phänomen. Auch die Auflage der NZZ ist rückläufig.
  • Zu behaupten, „nur ein öffentlich-rechtlicher Sender könne die sozialen Schichten, Regionen und Sprachen verbinden, ist so vermessen wie totalitär,“ schreibt Gujer. Nun, es behauptet niemand, dass die SRG die einzige Klammer ist, aber sie ist eine. Im Gegensatz zu den privaten Medien hat die SRG in den vergangenen Jahren ihr Korrespondentennetz nicht abgebaut. Diese berichten aus allen Regionen und leisten damit einen Beitrag zum nationalen Zusammenhalt, um nur ein Beispiel zu nennen. Dies ist nur dank der Finanzierung durch die Öffentlichkeit, also durch uns alle, möglich.

Bei der „No-Billag“-Initiative geht es nicht um eine andere SRG. Es geht nicht um ein kleineres SRF, mit mehr oder weniger Unterhaltung, mit mehr oder weniger Sport. Es geht um die Zerschlagung eines substantiellen audiovisuellen Angebotes für alle vier Landesteile. Die SRG hat in der Vergangenheit nicht alles richtig gemacht. Aber hat die NZZ alles richtig gemacht? Wer die SRG reformieren will, darf sie nicht abschaffen.


Weitere Repliken:

- Replik auf Eric Gujers Kommentar in der NZZ: "Die Schweiz braucht keine Staatsmedien"
(Blog von Matthias Zehnder, 16. Dezember)

- Staatsmedien?
(Blog von Peter Stämpfli, 16. Dezember)

- Fremdschämen an der Falkenstrasse
("Persönlich", das Portal der Kommunikationsbranche, Mark Balsiger, 17. Dezember)

* Diego Yanez ist Direktor der Schweizer Journalistenschule MAZ in Luzern. Zuvor war er u.a. Chefredaktor des Schweizer Fernsehens. Er zählt zu den Gründern des Komitees „NEIN zum Sendeschluss“, das gegen die Medienzerschlagungsinitiative kämpft.