Die No-Billag-Initiative will auch dem Radio die Gebühren und damit die Existenzgrundlage nehmen. Warum spricht kaum jemand vom drohenden Ende von SRF 1, Musikwelle oder Virus? Von Dennis Bühler*
Die Schweiz hört gerne Radio (siehe Zahlen am Ende dieses Artikels). Diese Zahlen sind derart beeindruckend, dass vor Kurzem sogar das die No-Billag-Initiative befürwortende rechtskonservative Politmagazin «Weltwoche» konstatieren musste: «Hier ist tatsächlich ein bemerkenswerter Kohäsionsfaktor vorhanden, weil eine Mehrheit der Schweizer dem gleichen Informationskanal vertraut.»
Nicht nur die Quoten, auch die Glaubwürdigkeit spricht für die SRG-Radios: In der aktuellen Mediabrands-Studie von Ende 2017 belegt SRF 1 knapp hinter der NZZ den zweiten Rang in der Deutschschweiz, während die beiden SRG-Kanäle La Première und Rete Uno in der Romandie respektive im italienischsprachigen Landesteil die Nase vorn haben.
Radio begleitet durch den Alltag ...
Eine Annahme der No-Billag-Initiative entzöge allen SRG-Stationen die Gebühren, weshalb nicht nur die Fernseh-, sondern auch die Radiosender ihren Betrieb aufgeben würden. Obwohl die Radio- die TV-Sender punkto Beliebtheit bei weitem übertreffen, sind letztere im Abstimmungskampf das alles dominierende Thema. Warum eigentlich?
«Fernsehen ist farbig und prominent und fordert Aufmerksamkeit, was entsprechend Angriffsfläche bietet», sagt Lis Borner (58), Chefredaktorin von SRF Radio und damit Vorgesetzte von knapp 300 Journalistinnen und Journalisten. Radio hingegen begleite durch den Alltag, informiere, unterhalte und schaffe Stimmungen. «Wer eine emotionale und medienwirksame Kampagne führen will, fokussiert deshalb aufs Fernsehen.» Das tun sowohl das Initiativkomitee als auch die Gegner des Volksbegehrens: Während Olivier Kessler und seine Mitinitianten TV-Sendungen wie der «Arena» unausgewogene Berichterstattung vorwerfen, hört man von ihnen nahezu nie ein schlechtes Wort über Radio SRF; und auch die Vertreter des Nein-Lagers setzen in ihrer Argumentation primär auf den Fernsehbereich, in dem nach ihrer Lesart eine «Berlusconisierung» droht und wo Private die in einer direkten Demokratie so wichtigen Informationen nicht bereitstellen könnten.
... als «Kumpel im Hintergrund»
Einer, der beide Welten aus dem Effeff kennt, ist Nik Hartmann. Der SRF-Routinier wird Mitte März – wenige Tage nach der No-Billag-Abstimmung – letztmals als Moderator im Vorabendprogramm von SRF 3 zu hören sein. Nach fast zwei Jahrzehnten beim Radio will er sich künftig auf seine TV-Projekte wie «SRF bi de Lüt» und «Landfrauenküche» konzentrieren. Wenn man im Fernsehen etwas verzapfe, habe dies eine viel grössere Wirkung als im Radio, sagt der 45-Jährige. «Radio ist und bleibt der gute, verlässliche Kumpel im Hintergrund. Da gibts viel weniger Angriffsfläche als bei der bunten Diva Fernsehen.»
Auch wenn sich die beiden Medien schwer vergleichen liessen: Beim öffentlichen Auftritt von Radio und Fernsehen hat Hartmann Unterschiede ausgemacht: «Wir Schweizer mögen Bescheidenheit», sagt er. «Und da mag die Wirkung des Radios eine leisere sein als die des Fernsehens.»
50 Franken pro Gebührenzahler
Auch wenn sich einige Radio-Mitarbeiter aus Angst vor einem Fehltritt so kurz vor der Abstimmung dann doch nicht zitieren lassen wollen: Viele von ihnen reagieren erfreut auf die Anfrage der «Südostschweiz». Als seien sie erleichtert, dass man auch mal von ihnen und nicht immer nur von ihren TV-Kollegen spricht. Entgegen anders lautenden Medienberichten dürfen sie sich gemäss internem Reglement frei zu No Billag äussern, solange sie keine explizite Abstimmungsempfehlung geben. Ein angeblicher Maulkorb der Direktion bestand nie und besteht auch heute nicht.
«Wir Radiostimmen sind im Leben vieler Menschen eine dermassen feste Gewohnheit, eine fixe Begleitung und ein sicherer Wert, dass viele sich gar nicht bewusst sind oder sich nicht vorstellen können, dass die Initiative auch ihr Lieblingsradio tangiert», sagt Mario Torriani, Morgenmoderator und Chef aller Moderatoren bei SRF 3. Im Abstimmungskampf stehe sein Medium aber auch deshalb nicht im Fokus, weil Radio in der Produktion relativ günstig sei, glaubt der 42-Jährige. «Wer beim Radio spart, hat nicht viel gewonnen.»
Tatsächlich: Während die SRG für die Zuschauer im vergangenen Jahr 1,1 Milliarden Franken ausgab, waren es für die Hörer «bloss» 436 Millionen Franken. Oder auf den einzelnen Gebührenzahler heruntergebrochen: Von den 178 Franken, die jeder ans SRF abliefert, fliessen 128 Franken ins TV und 50 Franken ins Radio – der Rest der Gebühren in Höhe von insgesamt 451 Franken geht an RTS (134), RSI (89), RTR (8) sowie an konzessionierte private Stationen und an die Billag für das Inkasso (42).
Podcast löst lineare Nutzung ab
Bei der glaubwürdigsten aller Sendungen arbeitet Nicoletta Cimmino: Beim «Echo der Zeit», einer 1945 gegründeten Institution, die alle Umbenennungen von Radio Beromünster über Radio DRS bis hin zu Radio SRF überstand (siehe auch Artikel unten). Beim Schweizer Medienqualitätsranking liess das «Echo», das mit gut sieben Vollzeitstellen auskommt, vor anderthalb Jahren sämtliche Zeitungen hinter sich. Inhaltlich dürfe an der DNA der Sendung denn auch nicht herumgepfuscht werden, sagt Cimmino. Technisch müsse sich aber auch das «Echo» weiterentwickeln. «Noch hören unsere Sendung sehr viele Menschen linear, das heisst von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende und auf einem Radiogerät», sagt die 43-Jährige. Die Entwicklung aber sei eindeutig: «Immer mehr Menschen hören uns im Podcast, zeitversetzt, wann immer sie gerade Zeit haben. Und sie hören nur noch jene Beiträge, die sie interessieren.»
Rund 420 000 Hörer hatte das «Echo» im vergangenen Jahr durchschnittlich. Das politische Hintergrundmagazin ist damit zwar nicht die meistgehörte, aber doch eine der beliebtesten Sendungen. Das zeigt sich gegenwärtig auch im No-Billag-Abstimmungskampf: Der «Verein für die Rettung meiner Lieblingssendung», der sich für ein Nein am 4. März einsetzt, bietet Fahnen sämtlicher SRG-Formate an – von der «Arena» über «Dok» und «10 vor 10» bis zum «Sportpanorama». Kein Transparent aber wurde so häufig bestellt wie jenes des «Echo der Zeit». Das Radio lässt das Fernsehen eben doch hinter sich. Auch wenn kaum jemand von ihm spricht.
>>> Radio in der Schweiz in Zahlen <<<
85 Prozent der über 15-jährigen Menschen in der Deutschschweiz hören gemäss Mediapulse täglich Radio – die Nutzung übertrifft damit sogar jene des Internets (80 Prozent).
2,6 Millionen Menschen schalten täglich einen SRF-Radiosender ein – durchschnittlich 105 Minuten lang. Der Marktanteil liegt damit bei insgesamt 58,1 Prozent.
6 deutschsprachige Radio-Sender gehören zur SRG: SRF 1, SRF 2 Kultur, SRF 3, SRF 4 News, SRF Virus und SRF Musikwelle.
11,1 Millionen Franken kostet Radio SRF 1 pro Jahr.
SRF 2 Kultur kostet 11,3,
SRF 3 9,4,
SRF 4 News 4,1,
SRF Musikwelle 2,3
und SRF Virus 0,99 Mio. Franken. Hinzu kommen die Kosten für die Informationsformate aller Sender: insgesamt 27,6 Mio. Franken. (dbü)
* Dennis Bühler ist Bundeshausredaktor der beiden Tageszeitungen «Südostschweiz» und «Die Nordwestschweiz», wo dieser Artikel zuerst publiziert wurde. Wir dürfen ihn mit der Zustimmung des Autoren übernehmen und danken dafür.