03. Dezember 2017

Eine Umfrage, die ihr Geld nicht wert ist

Die Schlagzeile schreckt auf: "No Billag"-Befürworter liegen deutlich vorn." Damit fährt die «SonntagsZeitung» heute gross auf. Beim genaueren Hinsehen stellt man allerdings fest, dass die Umfrage, die das Boulevardblatt machen liess, gravierende methodische Fehler hat. Unser Kampagnenleiter Mark Balsiger erklärt, wieso.

Umfragen sorgen für Nervosität und manchmal auch für Kopfschütteln. Wenn sie überzeugend erarbeitet wurden, liefern sie den Akteuren wichtige Eckwerte bei der weiteren Ausgestaltung ihre Kampagnen, Dynamik entsteht. Unseriöse Umfragen hingegen haben einen Zweck: Sie sollen Stimmung machen.

Heute veröffentlichte die „SonntagsZeitung“ eine Umfrage zur „No-Billag“-Volksabstimmung vom 4. März 2018. Ihre Quintessenz: 57 Prozent würden derzeit „No Billag“ zustimmen, 34 Prozent sind bei einem Nein, 8 Prozent noch unentschlossen. Gemäss dieser Umfrage verfängt das Argument, dass die SRG ohne Gebühren untergehen würde, nicht.

Ordnen wir das Ganze ein.

A) Ein Blick in die Statistik zeigt: Viele Volksinitiativen, egal ob sie von links oder rechts lanciert wurden, starten zu Beginn eines Abstimmungskampfs mit einem deutlichen Ja. Je mehr in der Folge über das Thema diskutiert wird, desto mehr sinkt dieser Ja-Wert. Fast alle Volksinitiativen machen eine solche Entwicklung durch. Es gibt allerdings auch Ausnahmen, und deshalb wäre es im #NEINzuNoBillag-Lager ungeschickt, sich in falscher Sicherheit zu wähnen.

Die „No-Billag“-Initiative ist brandgefährlich und sie hat Chancen, angenommen zu werden. Drei Monate vor dem Abstimmungstermin ist vielen Leuten noch nicht bewusst, dass SRG und 34 private Sender ohne Gebühren eingehen würden. Die Schweiz mit ihren vier Sprachregionen ist zu klein für einen funktionierenden TV-Markt. Der direkte Zusammenhang muss erklärt werden – anhand von Beispielen und der glasklar formulierten Volksinitiative. (Beispielsweise dass es dem Bund untersagt ist, nach dem 1. Januar 2019 Radio- und TV-Empfangsgebühren zu erheben. Ab dann betragen sie für Privathaushaltungen noch 365 Franken, 20 Prozent weniger als heute.)

B) Die Firma, welche diese Online-Umfrage machte, heisst Marketagent Schweiz AG. Sie ist seit 2009 lizenziert.

Das Filtern, Validieren und Gewichten von Antworten ist höchst komplex. Dafür braucht es viel sozialwissenschaftliches Knowhow, und man sollte wissen, wie die Schweiz politisch funktioniert.

Ich verzichte darauf, diese Umfrage im Detail zu zerpflücken. (Sie kann hier heruntergeladen werden.) Nur zwei Punkte:

- Bei Online-Umfragen machen Schweizer Demoskopen wie Michael Hermann (Sotomo) oder das Duo Lucas Leemann/Fabio Wasserfallen Samples mit mindestens 10'000 Personen. Marketagent hingegen befragte 1010 Personen, im Tessin übrigens niemanden. Die Repräsentativität darf in Zweifel gezogen werden, ein Stichprobenfehler wird nicht ausgewiesen, obwohl das zu den Standards der Branche gehört.

- Über 65-Jährige wurden nicht erfasst. Genau diese Alterskategorie partizipiert aber traditionell am meisten bei Wahlen und Abstimmungen. Zugleich wurden im Sample 14- bis 19-Jährige befragt, diese Alterskategorie mach 5 Prozent aller Befragten aus. (Nachtrag vom 4. Dezember, 18 Uhr: Gemäss der telefonischen Auskunft eines Mitinhabers der Befragungsfirma wurde die Erhebung zu "No Billag" im Rahmen einer Omnibus-Umfrage gemacht. Bei der Evaluierung zu "No Billag" seien die Minderjährigen nicht berücksichtigt worden.)

Wir rufen etwas in Erinnerung: In diesem Land liegt das Stimm- und Wahlrecht bei 18 Jahren. Entsprechend müsste sich eine Stichprobe ausschliesslich auf Ü18 ausgerichtet sein.

Ein Befürworter der „No-Billag“-Initiative nannte diese Umfrage auf Twitter „ziemlich abenteuerlich“. Volltreffer! Redaktionen wiederum sollten sich in einer Stunde der Reflexion fragen, ob sie den Auflagenschwund ihrer Zeitungen mit solchem Content stoppen können. Die Zauberwörter heissen Relevanz und Glaubwürdigkeit.


Nachtrag vom 4. Dezember 2017, 18 Uhr: Die NZZ hat sich dem Thema inzwischen angenommen und ordnet ein.

Grafik: SonntagsZeitung, 3. Dezember 2017
Grafik: SonntagsZeitung, 3. Dezember 2017