Am 4. März steht viel auf dem Spiel: Ohne Not soll die SRG und viele private Sender geschliffen werden. Aus Ideologie. Und weil Wutbürger mit den Füssen abstimmen, wieder einmal ein Zeichen setzen wollen. Man sollte nach Schweizer Sitte besser nüchtern die Konsequenzen abschätzen, schreibt Walter Honegger*
Die Diskussionen pro und kontra verfolge ich seit Monaten mit grossem Interesse. Ich habe mir auch erlaubt, mich über die Befürworter der No-Billag-Initiative zu informieren, indem ich ihre Facebook-Profile angeklickt habe. Anhand der Fotos von gepflegten Autos mit Aluminiumfelgen und solchen aus schönen Ecken dieser Welt kam ich zum Schluss, dass diese Leute die Gebühren problemlos bezahlen könnten.
Was nebst vielen anderen Errungenschaften auf dem Spiel steht:
Viele ältere Leute haben mit den vertrauten Medien einen Partner. Viele Sendungen sind für diese Leute jeden Tag Ersatz für den Besuch, der leider nicht mehr an der Haustür läutet. Sendungen mit Untertiteln für Hörbehinderte oder Wiederholungen mit Gebärdensprache wären Vergangenheit. Spendenaktionen wie „Glückskette“ hätten keine Plattform mehr. Mit einem gesundheitlichen Handicap wird das vertraute Radio und Fernsehen noch wichtiger. Die Information, die uns interessiert, würde in Zukunft wohl durch einen „Parteifilter“ gelassen, und wer wirklich glaubt, dass die Werbung bei SRF ein Ärgernis ist, der wird nach der Annahme der Initiative noch auf die Welt kommen. Sportkanäle müssten abonniert werden, ganze Sprachregionen würden kaum mehr einen Anbieter finden, lokale Stationen würden ersatzlos gestrichen, Kulturförderung ebenso, Solidarität wird zum Unwort unserer Zeit! Eine erschreckende Entwicklung!
Ich nehme mit zunehmendem Frust zur Kenntnis, wie Halbwahrheiten, Verdrehungen und Behauptungen die belegbaren Fakten unterwandern. Auch Begriffe wie „Staatsfernsehen“ gehören für mich in kommunistisch gelenkte Staaten. Viele Angriffe auf die Medien haben gar nichts mit der Initiative zu tun, sind aber Nahrung für viele Wutbürger, die es dem „Staatsfernsehen“ mal zeigen wollen. Deshalb nochmals: Die SRG ist ein unabhängiger Verein mit 24'000 Mitgliedern, gehört also dem Volk; sie hat eine Sendekonzession und einen Leistungsauftrag.
Wenn Sie finden, dass kritisches Hinterfragen von Journalisten gleichzusetzen ist mit linken Medien, kann ich Ihnen einen gewissen Mangel an Objektivität nicht absprechen: Journalisten des Schweizer Fernsehens, die in die Politik gewechselt haben wie beispielsweise Werner Vetterli (SVP), Maximilian Reimann (SVP), Norbert Hochreutener (CVP) oder auch Filippo Leutenegger (FDP) sind bürgerlich. Matthias Aebischer (SP) ist der einzige Linke.
Ich arbeitete bei der SRG. Dank meinem Job besitze ich ein gewisses Know-how im Medienbereich. Fernsehen machen ist komplex – vergleichbar mit einem Puzzle, bei dem jede Berufsgruppe zur richtigen Zeit das richtige Teil an den richtigen Ort legt und erst so eine professionelle Sendung entsteht. An allen Arbeitsplätzen sind überall Spezialisten gefragt. Ich wurde fair entlöhnt, hätte aber in der Privatwirtschaft sicher mehr verdient.
Sollte die Initiative angenommen werden, ist absehbar, dass nur noch das dicht bevölkerte Schweizer Mittelland sendetechnisch abgedeckt würde. Die anderen Sprach- sowie die Randregionen sind für Investoren nicht interessant. Ah ja, nicht vergessen: die neuen Einnahmequellen! Sie müssen ja gar nichts mehr bezahlen. Freuen sie sich also schon jetzt auf viele Werbeblöcke!
Bei Annahme der Initiative sind fast 6000 SRG-Stellen und mehr als 2000 Stellen bei den regionalen Sendern und Zulieferern gefährdet. Das sind mehr als 8000 Menschen, deren Zukunft sich unverschuldet nur wegen eines politischen Ränkespiels massiv verschlechtern könnte! Das sind keine Stellen, die man wegen Ineffizienz streichen will. Ich wünsche keinem der Befürworter, selbst jemals in eine solche Situation zu geraten, wo weder ihr Leistungsausweis noch ihre Kompetenz vor einer Kündigung schützt.
Es geht um einen Franken pro Tag! Eigentlich ein Wahnsinn, deswegen eine vitale Medienlandschaft zu zerstören! Wenn Grossbritannien nochmals über den Brexit abstimmen könnte, würde das Resultat jetzt bestimmt anders ausfallen. Wir können den Gau noch verhindern!
Sollte die Initiative angenommen werden, bedeutet das das Ende der SRG. Die Angestellten in jedem Berufsbereich werden das tun, was man bei einem sinkenden Schiff tut: Man schaut sich nach einem Rettungsboot um. Wer nun behauptet, dass dieser komplexe Apparat jederzeit wieder problemlos hochgefahren werden kann, hat – pardon! – keine Ahnung von der Materie.
Wir leben in einer Demokratie und der Volkswille muss respektiert werden. Wenn die Mehrheit der mündigen Schweizer wirklich eine komplette Privatisierung der audiovisuellen Medien will, haben wir das zu akzeptieren. Sollten Sie ein Wutbürger sein, der der SRG einen Denkzettel verpassen will, bitte ich Sie, sich vorgängig mit der Materie zu beschäftigen und die Konsequenzen abzuwägen. Der Denkzettel ist in der Führungsetage der SRG längst angekommen.
* Walter Honegger war 40 Jahre lang als Tontechniker bei der SRG tätig, inzwischen ist er in Pension.