Die No-Billag-Volksinitiative würde 34 private Sender in ihrem Kern treffen. Für die Initianten ist das allerdings nicht einmal ein Nebenschauplatz, sie zielen auf die verhasste SRG. Perfid ist, dass sich ihre Kampfbegriffe «No Billag» und «Zwangsgebühren» längst in den Köpfen der Leute festgekrallt haben. Sie suggerieren, dass wir ja nur über die Gebühren abstimmen werden. Die Realität sieht anders aus: No Billag würde «No more SRG» bedeuten – Lichterlöschen. Ein Blog-Posting von Mark Balsiger*
Einem Naturgesetz gleich purzeln Rechnungen in unsere Briefkästen – von der Zahnärztin, einem Modeversandhaus, Versicherungen und – Hell yeah! – einmal pro Jahr von einer Firma namens Billag AG.
Im nächsten Frühling werden wir über die No-Billag-Volksinitiative abstimmen. Bei Diskussionen in meinem Umfeld stellte ich fest, dass viele Leute noch nicht recht wissen, worum es eigentlich geht. Dem will ich abhelfen. Dieser Text soll aufklären, gegen Schluss werde ich allerdings parteiisch. [+ Nachträgliche Anpassung: bereits ab der Mitte dieses Postings werde ich parteiisch, pardon. +]
Die Billag AG ist eine Tochterfirma der Swisscom und in Fribourg domiziliert. Seit bald 20 Jahren erhebt sie die Radio- und TV-Empfangsgebühren. Diese betragen pro Privathaushalt 451 Franken jährlich. Sie wurden seit 1995 nicht mehr erhöht, sondern lediglich ein paarmal der Teuerung angepasst. Dass die Inkassofirma dennoch Jahr für Jahr mehr Geld verteilen kann, liegt an der stetig wachsenden Anzahl Haushalte. (Ende 2016 gab es davon 3,7 Millionen, fast 15 Prozent mehr als vor 20 Jahren.)
Mitte nächsten Jahres, spätestens aber auf 1. Januar 2019, sinken die Billag-Gebühren auf unter 400 Franken.
Wie viel die Jahresabonnements einzelner Zeitungen kosten:
- «Der Landbote» (Winterthur): 434 Franken
- «Luzerner Zeitung»: 448 Franken
- «NZZ» Print 684, nur digital 504 Franken
- «Südostschweiz»: 419 Franken
- «Tages-Anzeiger» Print: 548, nur digital 314 Franken
(Es geht hier nicht darum, Zeitungen und SRG gegeneinander auszuspielen, sondern aufzuzeigen, was Qualitätsmedien heute kosten.)
Pro Haushalt werden im Durchschnitt jährlich 2770 Franken für «Medien» ausgegeben. Das umfasst Bücher, Kino, Radio, TV, Zeitungen und Zeitschriften.
Stellen wir die Billag-Gebühren in ein Verhältnis: Pro Tag kosten sie uns zurzeit 1 Franken 20, ab nächstem Jahr noch etwa 1 Franken, pro Woche also ungefähr so viel wie zwei Tassen Kaffee.
Deutschschweizer Solidarität mit andern Landesteilen
In keinem anderen europäischen Land sind die Radio- und TV-Empfangsgebühren so hoch wie in der Schweiz. Das hat einen einfachen Grund: Die SRG hat den Auftrag, in vier Landessprachen Service public zu liefern. Könnte sie in nur einer Sprache produzieren, wären die Gebühren markant tiefer. Die Programme in der Romandie, im Tessin und in der rätoromanischen Schweiz müssen massiv quersubventioniert werden – das ist Solidarität, wie sie in unserem Land Tradition hat. Diese Solidarität hält die vier Sprachregionen zusammen, im Fall der Billag-Gebühren ist sie monetärer Natur.
«Billag» für auch für 34 lokale Radio- und regionale Fernsehstationen
Der Löwenanteil im Billag-Topf geht an die SRG. Davon profitieren aber auch 34 verschiedene Lokalradios und regionale TV-Stationen. Ein Beispiel: Radio Rottu bedient das Oberwallis mit Informationen aus seinem Sendegebiet, von Leukerbad bis zur Grimsel, vom Lötschental bis nach Saas Fee. Das Jahresbudget des Senders beträgt 4 Millionen Franken, 1,6 Millionen davon, also 40 Prozent, erhält er aus dem Billag-Topf. Wird die Volksinitiative angenommen, trifft das Radio Rottu in seinem Kern; die wirtschaftliche Basis für den Betrieb wäre nicht mehr vorhanden.
Ähnlich düster sähe es für die 34 anderen Radio- und TV-Stationen aus. André Moesch, Präsident von Telesuisse, dem Verband der Schweizer Regionalfernsehen, braucht deutliche Worte: «Ohne diese Gebühren kann man in der Schweiz kein Regionalfernsehen machen.» Libertäre Kräfte entgegnen: «So what, wer im Markt nicht besteht, verschwindet halt.»
Ich persönlich finde Wettbewerb richtig, meine Firma ist seit 15 Jahren in einem sehr kompetitiven Umfeld unterwegs, ich kenne nichts anderes. Tatsache ist aber auch, dass der Markt in vielen Bereichen nicht spielt. Ein populäres Beispiel dafür ist die Landwirtschaft in der Schweiz.
Für die No-Billag-Initianten sind die 34 privaten Sender nicht einmal ein Nebenschauplatz, sie zielen auf die verhasste SRG. Perfid ist, dass sich ihre Kampfbegriffe «No Billag» und «Zwangsgebühren» längst in den Köpfen der Leute festgekrallt haben. Sie suggerieren, dass wir ja nur über die Gebühren abstimmen. Die Realität sieht anders aus: «No Billag» würde «No more SRG» bedeuten – Lichterlöschen.
Wer sich mit Medienökonomie befasst, merkt schnell: Die Schweiz mit ihren vier Sprachregionen ist zu klein für einen nationalen TV-Markt. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, ein qualitativ überzeugendes Vollprogramm ohne Gebühren zu betreiben, Marktlogik und Service public beissen sich.
Was passiert, wenn die Medienzerschlagungsinitiative, wie ich sie bezeichne, angenommen wird? Neue Akteure träten auf den Plan, vorab in der Deutschschweiz, die immerhin rund fünf Millionen Einwohner zählt. Sie sind gewinnorientiert und haben womöglich auch eine politische Agenda. Ihr Programm richtet sich ausschliesslich nach kommerziellen Kriterien: Gezeigt wird, was Quote und damit Geld bringt. Dabei muss man wissen: Die Sparte Information ist kostenintensiv; entsprechend würde sie ein Mauerblümchendasein fristen. Eine solide Demokratie braucht aber starke Medien.
Die SRG ist ein privatrechtlich organisierter Verein mit rund 24’000 Mitgliedern. Sie wirkt als Non-Profit-Unternehmen, das ein ausgewogenes Programm bietet und ihren Kritikern regelmässig eine Plattform. Denken wir nur an Roger Köppel, Andreas Glarner oder Natalie Rickli, die seit mehr als zehn Jahren für Goldbach Media arbeitet, einer Vermarktungsfirma, die die Werbefenster der grossen ausländischen TV-Stationen beliefert – so fliessen jedes Jahr x-Millionen Franken zu Sat1 & Co. ab.
Weckruf an die Zivilgesellschaft
Doch zurück zur SRG: Die Zusammenführung von Radio und Fernsehen war komplex (Konvergenz), der Umbau in die digitale Zukunft ist in vollem Gang, die grossen Medienhäuser machen Stimmung, fast täglich gibt es Prügel. Klar, die SRG hat auch Fehler gemacht, und mit Generaldirektor Roger De Weck war bis im September ein Repräsentant am Werk, der bei vielen Leuten nicht ankam. Er wäre seine Aufgabe gewesen, dem Volk die zentrale Aufgabe, welche die SRG-Sender in unserem Land hat, zu erklären.
Natürlich, längst nicht jede Sendung ist gut, natürlich, die Gründung der Vermarktungsplattform Admeira (zusammen mit Ringier und Swisscom) war eine Provokation, natürlich, die SRG muss wieder schlanker werden, aber «Die Liste der Qualität», diese Liste ist lang:
- Echo der Zeit & Tagesschau
- Der Bestatter & DOK-Sendungen
- Champions League & Lauberhornabfahrt
- 7 Regionaljournale & mehr als 50 Korrespondenten weltweit
- Mona Vetsch & Franz Fischlin
- Nicoletta Cimmino & Martin Alioth
- Puls & Espresso
- Focus & Tagesgespräch
- Spasspartout & 150 Live-Konzerte pro Jahr
- Eco & Samstagsrundschau
- Kontext & 10vor10
- Sternstunde Philosophie & Nachtwach
- ...
- ...
Wollen wir tatsächlich einen Kollateralschaden anrichten? Dies im Wissen darum, dass die privaten Medienhäuser ihre Angebote ausdünnen, Personal abbauen, ihr Korrektorat nach Banja Luka (Bosnien) auslagern und einige von ihnen schrittweise die Publizistik verlassen.
Der «Ground War» und der «Underground War» sind schon seit Jahren im Gang. Hunderte von No-Billag-Einzelkämpfern und Guerilla-ähnlich organisierten Zellen agitieren in Kommentarspalten und Social Media, die Tonalität ist unversöhnlich, oft hasserfüllt. Die Zivilgesellschaft wie die Angestellten der gefährdeten Medien haben es bislang verpasst, diesen Fightern und Trolls mit Anstand und Argumenten entgegenzuhalten. Das kann sich rächen! Dieser Text ist deshalb auch als Weckruf zu verstehen – «liebe Fraue und Manne, ad Seck!» (Die Hashtags lauten #NEINzuNoBillag und #Medienzerschlagungsinitiative.)
* Mark Balsiger ist Politikberater, Buchautor, Dozent und seit 2002 geschäftsführender Inhaber der Kommunikationsagentur Border Crossing AG in Bern. Dieses Posting erschien zuerst auf dem Blog seiner Firma, darf aber mit Zustimmung des Autors hier aufgeschaltet werden.