Die No-Billag-Initiative könnte zum eidgenössischen Äquivalent des Brexit-Referendums werden. Eine Vorlage, deren Zielsetzung so radikal und destruktiv ist, dass sie unter normalen Bedingungen niemals durchkommen würde, scheint plötzlich eine Erfolgschance zu haben. Zwar lässt sich ausschliessen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung die breit konsumierten und bei den verschiedensten Zielgruppen populären TV- und Radioprogramme tatsächlich zerstören will. Ein Leben ohne «Rendez-vous» am Mittag? Ein Abstimmungskampf ohne «Arena»? Nein, das wollen die wenigsten.
Aber den Fernsehleuten mal tüchtig eins vor den Bug knallen? Weil man findet, dass sie zu viel, je nach Geschmack auch zu wenig Kultur oder Landleben oder «Glanz & Gloria» bringen? Weil einiges am Programm zwar gefällt, anderes aber nervt? Weil 49 Prozent No-Billag-Jastimmen der SRG einen Denkzettel verpassen und verhindern würden, dass sie über die Stränge schlägt?
In allen epochalen Abstimmungsdesastern steckt ein Element der Unabsichtlichkeit. Die Lust, der SRG auf den Schlips zu treten, ist von den privaten Verlagshäusern über Jahre angestachelt worden. Sie könnte jetzt die Oberhand gewinnen, obwohl es eigentlich keine Mehrheit für eine Schweiz ohne öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt. Und obwohl die politischen Konsequenzen eines solchen Protestentscheids extrem weitreichend wären. Die No-Billag-Initiative hat das Potenzial, die Machtverhältnisse im Land fundamental zu verschieben. Darum wurde die Vorlage lanciert; das ist, was auf dem Spiel steht.
Die ordnungspolitischen Einwürfe um Wettbewerbsverzerrung und das Verhältnis von öffentlichen und privaten Anbietern sind hier nicht das Thema. Man kann immer darüber streiten, ob der Leistungsauftrag der SRG ideal kalibriert und umgesetzt wird und ob die Gebühren die richtige Höhe haben – auch wenn die künftigen 365 Franken angesichts der Kleinheit und Viersprachigkeit des Marktes im internationalen Vergleich alles andere als üppig sind. Doch darum geht es gar nicht. Es geht darum, ob die Schweiz, genauso wie alle anderen europäischen Länder, über einen öffentlich finanzierten Rundfunk verfügen soll. Die Kräfte, die das nicht wollen, haben ein klares Motiv: Sie wollen den Rundfunk zur Plattform für politische Propaganda umfunktionieren. Und damit das klappen kann, muss zuerst die SRG zerstört werden.
Die wahre Agenda von «No Billag» ist «Yes, Blocher-TV». Es ist kein Zufall, dass die Initiative von Akteuren aus dem SVP-Umfeld getragen wird. Christoph Blocher hat sich über die Jahre unter Einsatz gigantischer Geldmittel ein beeindruckendes Presseimperium zusammengekauft. Selbstredend hat er auch versucht, im Rundfunk eine eigene Propagandaplattform zu etablieren. Davon zeugt nicht nur das bereits seit zehn Jahren bestehende «Teleblocher», sondern auch die unter Mitwirkung von Blochers Robinvest produzierte Sendung «Filippos Politarena» des langjährigen Blocher-Sekundanten Filippo Leutenegger oder der für Star-TV produzierte «CCTalk» mit Claudio Zanetti.
Diese Rundfunkaktivitäten kämpfen jedoch mit einem Problem: lächerlich tiefen Quoten. In der heutigen Schweizer Fernsehlandschaft mit einer starken und politisch ausgewogenen SRG ist für Blocher-TV kein Platz. Also soll Platz geschaffen werden.
Ein Rundfunksystem ganz ohne Gebühren kennen die USA. Radio und Fernsehen sind in Amerika hochpolitisiert und ihre Propagandamacht ein entscheidender politischer Faktor. Zahllose Untersuchungen bestätigen, dass Fox News wesentlich zur Hyperpolarisierung der Politik beigetragen hat. Dass etwa George W. Bush im Jahr 2000 das Präsidentenamt nicht hätte erobern können ohne die Unterstützung durch diesen Propagandakanal – vom Siegeszug eines Donald Trump gar nicht zu reden.
Wie hoch könnte der Stimmenanteil der SVP steigen, wenn das Fernsehen völlig privatisiert wäre und sich mit Politsendungen im Stil von «Teleblocher» Deutschschweizer Einschaltquoten von 15 bis 20 Prozent erreichen liessen? Stiege der SVP-Stimmenanteil auf 35, auf 40 Prozent? Ob ein solchen Szenario wünschenswert ist – das ist eigentlich die Frage, auf die die Stimmbürger eine Antwort geben müssen.
Diese Kolumne von Daniel Binswanger erschient zuerst im «Magazin». Sie darf mit der Einwilligung des Autors hier aufgeschaltet werden.