10. Dezember 2017

Mit Trinkgeld macht man kein Fernsehen

Mit 300 Millionen Franken ist in der Schweiz kein nationales Fernsehen zu betreiben. Diese Summe nimmt die SRG derzeit als Werbung jährlich ein. Bei einem Ja zur „No-Billag“-Initiative würden die Gebühren, die Schweizer Radio und Fernsehen seit jeher mehrheitlich finanzieren, ab dem 1. Januar 2019 wegfallen. So will es der Initiativtext. Andrea Masüger* spricht Klartext.

Das Schweizer Volk konnte am Mittwoch im Schweizer Fernsehen zu bester Sendezeit mitverfolgen, wie die SVP-Fraktion im Nationalrat eine Fasnachtseinlage hinlegte: Begleitet von einer Trompete und dirigiert von Präsident Albert Rösti gaben die wackeren Mannen und Frauen die Nationalhymne zum Besten – als Dank für das EWR-Nein des Schweizer Volks vor 25 Jahren. Rösti hatte zuvor Journalisten des Schweizer Fernsehens über die klammheimliche Aktion kurz vor Sitzungsbeginn informiert, auf dass diese die Kameras bereithalten würden und die SVP-Aktion (die notabene alle anderen Parteien furchtbar nervte) auch die nötige Verbreitung erhalte.

Diese Episode zeigt deutlich das gespaltene Verhältnis der Politiker zur SRG. Dort, wo man sie braucht, spannt man sie ein, macht man sie zur Komplizin. Wenn man sie gerade nicht benötigt, wird sie befehdet und bekämpft. Derselbe Rösti, der die TV-Journalisten mit einer guten Story köderte, stimmte im Rat für die No-Billag-Initiative. Ein paar Monate später hätte seine PR-Aktion, für die er übrigens eine Rüge des Ratspräsidenten kassierte, möglicherweise vor leeren Zuschauerrängen stattfinden müssen, denn die SRG hätte nach einem Ja zu dieser Initiative den Betrieb eingestellt.

In der gegenwärtig schon fast irrational geführten Diskussion um Sein oder Nichtsein der SRG macht sich aber langsam eine Tendenz breit, die Folgen einer Zustimmung zur Initiative zu relativieren und zu verharmlosen. Obwohl in diesem Falle auf einen Schlag 80 Prozent der Einnahmen der SRG wegfallen würden, behaupten heute einige Professoren und Politiker, der Sendebetrieb könnte etwas reduziert weitergehen. Ein solches Szenario wäre bei einer Halbierung der Gebühren (wie es die SVP will) sicher möglich, aber nur mit 300 Millionen Werbeeinnahmen ist kein nationales Radio und Fernsehen zu machen. Ausserdem würden diese Einnahmen schnell zusammenbrechen, weil kein Werber gerne auf ein sinkendes Schiff setzt.

Weiter wird behauptet, es gäbe andere Gesetzesgrundlagen für eine finanzielle Alimentierung der SRG, z. B. die Normen zur Film- und Sprachenförderung. Oder, noch besser, die Kantone könnten in die Bresche springen und mit Subventionen oder gar kantonalen Gebühren die fehlenden Mittel für eine gesamtschweizerische Sendeanstalt zusammenbringen. In ihrer Naivität schon fast herzig mutet die Theorie an, dass die heutigen SRG-Oberen gar nicht befugt wären, ihre Organisation nach einem Ja zu liquidieren, weil die Rechtsform der SRG ein Verein sei, dessen Organe ja auch das Weiterleben beschliessen könnten.

Diese krampfhafte Suche nach Gründen, welche die Prophezeiungen der Gegner widerlegen sollen, mögen gut gemeint sein, sie befördern aber die Lust, Ja zu stimmen. Diese Lust ist nicht zu unterschätzen, vor allem wenn man den Eindruck hat, eine kleine Ohrfeige könne nicht schaden und die Wirkung wäre ja begrenzt. Auch wenn die in letzter Zeit publizierten Umfragen zum Teil methodische Mängel haben mögen, der Trend zum Ja-Sagen in dieser Sache scheint ungebrochen. Jedem, dem die Krawatte des Tagesschau-Moderators nicht passt, kann mit dem Stimmzettel einen kleinen Protest einlegen. Die Gefahr liegt in der Kumulation solcher Nasenstüber. Die Grundsatzfrage, ob die Schweiz eine nationale Radio- und TV-Anstalt braucht und in deren Kielwasser auch viele bunte private Sender – eine Frage, die ein bisschen Nachdenken erfordern würde –, tritt damit in den Hintergrund.

Es braucht keine Professoren, um zu erkennen, dass ein Betrieb, dem man auf einen Schlag nur noch einen Fünftel seiner Einnahmen zur Verfügung stellt, die Tore schliessen muss. Wenn dies eintritt, nützt es nichts mehr, wenn der Moderator die Krawatte wechselt. Der Bildschirm wird schwarz bleiben.

* Andrea Masüger ist CEO von Somedia. Zuvor war er langjähriger Chefredaktor der «Südostschweiz». Er hat der Publikation seiner Kolumne «Masüger sagts», die gestern in der «Südostschweiz» erschien, auf diesem Blog zugestimmt.

Die SVP-Fraktion sang am Mittwochmorgen die Nationalhymne im Nationalratssaal - eine unbewilligte Aktion.
Die SVP-Fraktion sang am Mittwochmorgen die Nationalhymne im Nationalratssaal - eine unbewilligte Aktion.