12. November 2017

Die Folgen von No Billag – nüchtern betrachtet

Obwohl es noch fast vier Monate dauert bis zur Abstimmung, ist die Auseinandersetzung um die «No-Billag»-Initiative bereits sehr polemisch – und schon erstaunlich faktenfern. Werfen wir also einen möglichst nüchternen Blick auf die Folgen, die eine Annahme dieser Volksinitiative für das Medienangebot im Bereich Radio und Fernsehen hätte. Matthias Zehnder*, der Autor dieses Postings, macht ganz am Schluss eine knappe Wertung der Fakten.

Wie immer bei politischen Auseinandersetzungen sind auch bei der Auseinandersetzung rund um die «No-Billag»-Initiative viele Emotionen und wenig Fachwissen im Spiel. Versuchen wir deshalb einmal, möglichst nüchtern über die Folgen einer Annahme der Initiative nachzudenken. Welche Folgen hätte ein Wegfallen des gebührenfinanzierten Rundfunks für die Medien? Konkret stellen sich fünf Fragen:

  1. Wie lassen sich Rundfunk-Angebote ohne Gebühren finanzieren?
  2. Welche Folgen haben diese Finanzierungsmodelle für die Angebote?
  3. Was bedeutet das für die Konsumenten?
  4. Was bedeutet es für die politische Schweiz?
  5. Was für die kulturelle Schweiz?

Mein Ziel ist es, diese fünf Fragen möglichst ohne Wertung zu beantworten und möglichst nüchtern unbestreitbare Konsequenzen aufzuzeigen. Eine persönliche Wertung finden Sie erst am Schluss. Kommen wir also zur ersten Frage:

1) Wie lassen sich Rundfunk-Angebote ohne Gebühren finanzieren?

Ohne Gebühreneinnahmen gibt es für Radio- und Fernsehangebote zwei mögliche Einnahmequellen: Werbeeinnahmen und Pay-TV-Einnahmen. Letztlich basieren beide Einnahmemodelle auf dem Erfolg beim Publikum: Im Fall von Werbung wird die Aufmerksamkeit der Zuschauer indirekt über einen Werbeauftraggeber zu Geld gemacht, im Fall von Pay-TV-Einnahmen wird der Zuschauer direkt zur Kasse gebeten. Beide Modelle setzen damit auf Quote, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise.

Werbung im Umfeld einer Sendung kann ich dann verkaufen, wenn ich mit der Sendung eine interessante Zielgruppe zu einem grossen Prozentsatz erreiche. Ein Pay-TV-Angebot hat dann Erfolg am Markt, wenn das Angebot von einer genügend grossen Personengruppe als so interessant eingestuft wird, dass sie bereit sind, dafür zu bezahlen. Wirklich gut funktioniert das nur bei Übertragungen von Sportereignissen, die ein grosses Publikum ansprechen. Das bedeutet für die Schweiz: Fussball, Tennis, Skirennen und Eishockey wird es nur noch gegen Bezahlung zu sehen geben. Von Sky Sport gibt es bereits heute Sport im Bezahlfernsehen: Zu sehen gibt es etwa alle Spiele der Champions League und der Bundesliga sowie ATP World Tour Masters 1000, Formel 1 und Golf. Kostenpunkt: 9.90 Franken pro Tag oder 19.90 Franken im Monat. Macht im Jahr 238 Franken.

Lassen sich Radio- und Fernsehsendungen mit Werbung finanzieren? Da gibt es zwei Problemfelder. Zum einen ist die Schweiz ein sehr kleiner Markt, der zudem auch noch in vier Sprachen aufgeteilt werden muss. In der Deutschschweiz mag ein TV-Sender eventuell noch in eine werberelevante Grösse kommen, in der Westschweiz ist das sehr schwierig und im Tessin kaum möglich. Fernsehwerbung hat auch ohne Zerschlagung der SRG in der Schweiz einen schweren Stand. Erstens führt der Trend zu zeitversetztem Fernsehen dazu, dass sich Zuschauer besser um die Werbung drücken können. Zweitens gibt es mittlerweile sehr viel effektivere Werbekanäle als Radio und Fernsehen. Im Internet erreicht ein Werbeauftraggeber mit weniger Geld potenzielle Kunden zielgenauer. Übrigens nicht über Bannerwerbung, wie sie publizistische Angebote verkaufen können, sondern vor allem über Spezialwerbeformen wie Suchmaschinenwerbung, die heute im Schweizer Internet den grössten Anteil aller Werbeformen ausmachen. Das Schweizer Fernsehen war bisher für Werbeauftraggeber eine Ergänzung, die für nationale Reputation sorgte. Sprachregionale Spartensender können das nicht mehr leisten.

2) Welche Folgen haben diese Finanzierungsmodelle für die Angebote?

Werbefinanziertes Radio und Fernsehen oder Pay-TV sind rein quotenorientiert. Für beide Finanzierungsmodelle gelten die Gesetze des Aufmerksamkeitsmarkts. Welche Folgen das hat, habe ich in meinem Buch «Die Aufmerksamkeitsfalle» beschrieben: Letztlich führt es zu einer Boulevardisierung. Fernsehen würde schriller und greller, wie das etwa in den USA zu beobachten ist. Weder im werbefinanzierten Fernsehen noch im Bezahlfernsehen haben Angebote für Minderheiten oder Nischeninhalte eine Chance. Das gilt ganz besonders für das Bezahlfernsehen. Das funktioniert nur, wenn es genügend Menschen gibt, die den Inhalt so dringend sehen möchten, dass sie bereit sind, dafür zu bezahlen.

Sportangebote würden im Bezahlfernsehen wohl funktionieren. Zu sehen gäbe es da aber nur noch Sportarten, die viele Menschen ansprechen. Informationsangebote und Kultur funktionieren im Bezahlfernsehen nicht. Kulturangebote sind Minderheitenprogramme. Es ist absolut illusorisch, Kulturangebote in der kleinen Schweiz über den freien Markt finanzieren zu wollen. Informationsangebote funktionieren allenfalls in einem werbefinanzierten Fernsehen, aber wohl nur als Teil eines grösseren Ganzen. So könnten die deutschen Privatsender Sat.1 und RTL ihre Schweizer Fenster mit Kurznachrichten aus der Schweiz aufpeppen. Kein Schweizer Privatsender wird sich ein Korrespondentennetz leisten können. Schon gar nicht finanzieren lassen sich Radioangebote, auch Flaggschiffe wie das «Echo der Zeit» nicht. Es gibt international kein Beispiel für ein vergleichbares Radioinformationsangebot, das sich über den freien Markt finanzieren lässt – in einem so kleinen Markt wie der Schweiz schon gar nicht. Kurz: Das (Schweizer) Angebot wäre mit Sicherheit kleiner.

3) Was bedeutet das für die Konsumenten?

Das (Schweizer) Angebot wird kleiner und die Einzelteile werden teurer. Teurer im Sinne von Gebühren – oder im Sinne von Zeit, die man mit dem Anschauen von Werbung verbringen muss. Die Folge wird sein, dass Schweizer (noch) häufiger ausländische Fernsehkanäle konsumieren würden. Das wird in der Diskussion immer wieder vergessen: Die Schweiz ist keine Fernsehinsel. Schon heute sind die Marktanteile der ausländischen Sender zusammengezählt grösser als der Marktanteil des Schweizer Fernsehen. In der werberelevanten Zielgruppe beträgt der Marktanteil der beiden SRF-Sender rund 22 Prozent. Schon die fünf meistgeschauten ausländischen TV-Sender haben heute kumuliert mehr Zuschauer.

4) Was bedeutet das für die politische Schweiz?

Vom Pay-TV hat die politische Schweiz nichts. Niemand bezahlt dafür, um Schweizer Politiker auf der Mattscheibe zu sehen. Werbefinanziertes Fernsehen orientiert sich an der Quote. Hohe Einschaltquoten erzielt ein Fernsehsender, wenn er Konflikte inszeniert, emotionalisiert und sensationalisiert, so, wie das die amerikanischen TV-Sender machen. Daran haben die Polparteien SVP und SP tendenziell ein Interesse. Die politische Mitte hat davon nichts. Für Proporzpolitik, wie sie typisch ist für die Schweiz, sind quotenorientierte Medienangebote kontraproduktiv.

5) Was bedeutet das für die kulturelle Schweiz?

Kultur und quotenbasierte Medien vertragen sich schlecht. Selbst in Abo-Tageszeitungen, die tendenziell ein intellektuelleres und zahlungskräftigeres Publikum ansprechen, haben die Kulturseiten eine «Einschaltquote» von kaum 20 Prozent. Rein werbefinanziertes Fernsehen wird sich nur um populäre Mainstream-Kultur kümmern. Die kulturelle Schweiz wird ins Internet ausweichen und vor allem direkt mit dem Publikum kommunizieren müssen. Sie wird an Öffentlichkeit verlieren.

Meine Wertung

Bis dahin waren das einigermassen nüchterne Beobachtungen, möglichst nicht gefärbt von politischen Ansichten. Lassen Sie mich ein ebenso nüchternes Fazit ziehen: There ain't no such thing as a free lunch. Wenn die Schweiz die «No-Billag»-Initiative annimmt, zahlen die Schweizerinnen und Schweizer keine Rundfunkgebühren mehr. Sie sparen damit also 365 Franken im Jahr. Das werden sie bezahlen: mit Werbung, mit Pay-TV und insbesondere mit einer Ausdünnung des Angebots in den Bereichen Information und Kultur. Mir persönlich ist das zu teuer.

*Matthias Zehnder ist selbstständiger Medienwissenschaftler und Autor in Basel. Dieses Posting erschien zuerst auf seinem Blog www.matthiaszehnder.ch, darf aber mit Zustimmung des Autors hier aufgeschaltet werden.