27. September 2017

Weshalb No Billag No SRG heisst

Die No-Billag-Initiative will der SRG die Existenzgrundlage entziehen. Sie kann aber auch zum Steigbügelhalter für verstecktere Angriffe auf die SRG werden. Von Philipp Cueni

Die Initiative No-Billag kommt 2018 vors Volk. Bei der Volksabstimmung wird es um die Existenz der SRG SSR gehen. Denn «No Billag» verlangt, die Gebühren ganz abzuschaffen, und damit würde der SRG die finanzielle Grundlage entzogen. No-Billag heisst letztlich no SRG – und das wiederum heisst konkret: kein SRF ­Radio, kein SRF TV, kein tpc, kein RTS, kein RSI, kein RTR, kein Swissinfo. Und es würden mindestens 6'000 Beschäftigte ihren ­Arbeitsplatz verlieren. Um diese politische Entscheidung geht es bei No-Billag.

«Der Bund oder durch ihn beauftragte Dritte dürfen keine Empfangsgebühren erheben.» Das ist der Kernsatz der No-Billag-Initia­tive. Er hat die Streichung von Artikel 68 des ­Radio- und Fernsehgesetzes zur Folge, ­welcher die Gebührenpflicht definiert.

Getragen wird diese Initiative von Exponenten aus Junger FDP und Junger SVP. Aber die Unterstützung der Initiative reicht weit über diesen relativ kleinen Kreis hinaus in die bürgerlichen Parteien hinein: Der grosse Schweizerische Gewerbeverband hat die Unterschriftensammlung unterstützt, SVP-Nationalrat Roger Köppel befürwortet die Forderung der Initiative und ein Basler Freisinniger etwa, der gerade als kantonaler Parteipräsident zur Wahl steht, unterstützt ebenfalls. Das sind erste Anzeichen dafür, dass der Rückhalt wachsen kann. Trotz des kleinen Initiativkomitees ist die Initiative aber vor allem deshalb ernst zu nehmen, weil sie zum Vehikel eines für die SRG viel gefährlicheren Vorschlags werden kann. Davon weiter unten.

Nicht nur die SRG tangiert

Aber zuerst: Was genau würde eine An­nahme der No-Billag-Initiative nach sich ziehen? Einfach gesagt: Wenn es keine ­Gebühren für Radio und Fernsehen mehr gibt, dann wird der SRG der Geldhahn zugedreht und sie geht zugrunde. Ebenfalls ­trockengelegt würden die konzessionierten Privatradios und Fernsehstationen, welche insgesamt 67 Millionen Franken erhalten. Für die allermeisten dieser Sender würde dies vermutlich ebenfalls das Aus bedeuten, vor allem für die kleinen regionalen Radios und für fast alle regionalen TV-Sender.

Wenn der SRG die Gebühren entzogen werden, dann entfallen 75 Prozent ihres Einkommens. Es ist offensichtlich, dass ein Unternehmen nach einem Verlust von Dreiviertel seiner Einnahmen nicht mehr existenz­fähig ist. Und es ist illusorisch zu meinen, die SRG könne sich privat einzig aus den Werbegeldern finanzieren und zum kommerziellen Medienunternehmen wandeln: Hätte die SRG nur noch ein stark redu­ziertes Programmangebot, könnte sie entsprechend weniger Werbung ­platzieren und verlöre als Verkäuferin von Werbeplätzen massiv an Attraktivität. Es würde also auch der Werbeertrag einbrechen und dieser würde auf andere, vor ­allem ausländische Kanäle abwandern.

No-Billag zielt an die Dekonstruktion des Medienhauses SRG - mit tiefgreifenden Konsequenzen für die Schweizer Gesellschaft.
No-Billag zielt an die Dekonstruktion des Medienhauses SRG - mit tiefgreifenden Konsequenzen für die Schweizer Gesellschaft.

Noch entscheidender ist aber, dass mit ­einem Verlust von mindestens Dreiviertel des Einkommens zuerst einmal das ganze System SRG zusammenbricht. Die Erfüllung des Leistungsauftrags des Bundes und die Philosophie des breiten Angebots für alle in allen Regionen wären nicht mehr umzusetzen, ebenso wenig der hohe Qualitätsanspruch. Und auch das System des sprachregionalen Finanzausgleichs i­nnerhalb der SRG wäre nicht mehr möglich: Die Suisse romande, die Svizzera ­italiana und die Svizra rumantscha sind von ihrer ­Bevölkerungszahl her nicht in der Lage, nur mit den eigenen Gebührengeldern qualitativ gleich­wertige Radio- und Fernsehprogramme an­zubieten. Über 25 Prozent der in der grossen Deutschschweiz eingenommenen Gebührengelder werden an die drei kleineren Sprachregionen weitergegeben. Und auch zwischen Quotenrennern für ein breites Publikum und aufwändigen teuren Sendungen für kleinere Publika wird finanziell ausge­glichen.

Initiativtext eine Irreführung der Stimmbürger

So gesehen ist es Augenwischerei, wenn die Initianten No-Billag sagen, denn sie meinen no SRG. «Ich habe nichts gegen die SRG, sie soll sich bitte einfach selbst ­finanzieren», sagt der Co-Präsident der Initiative, Olivier Kessler. Das ist eine ­Irreführung der Stimmbürgerinnen und -bürger.

Die allermeisten Leistungen der SRG lassen sich nicht über den privaten kommerziellen Weg finanzieren. Dafür sind diese Angebote zu aufwändig und zu teuer und deshalb auf den kleinen vier Sprachmärkten der Schweiz nie und nimmer zu refinanzieren. Das zeigen die Erfahrungen der privaten Fernsehstationen in der Schweiz. Die logische Folgerung: Der Grossteil der Angebote würde ersatzlos entfallen. Die Angebote des öffentlichen Radios und Fernsehens sind für die gesellschaftliche und demokratiepolitische Debatte wichtig. Das stimmt ganz sicher für kulturelle ­Angebote, für das ganze Informations­angebot von SRF, für das Genre Dokumentarfilme, für Hörspiele und für die ganze Palette der Eigenproduktionen.

Diese Aussage stimmt jedoch nur bedingt, denn wenn wir ehrlich sind, gehören zu einem attraktiven Themenmix eines öffentlichen Senders auch unterhaltende Programme, welche nicht demokratiepolitisch begründet ­werden können. Andererseits können Jasssendungen oder Quizspiele vermutlich auch von kommerziellen Sendern produziert werden. Und Programmangebote, die teuer in der Produktion sind, aber hohe Quoten versprechen, würden bei ­einem Aus für die SRG vom Bezahlfern­sehen übernommen – mit hohen Kosten für die Konsumenten. Kommerziell sind für das Pay-TV nur die ganz grossen Events interessant. So kostet alleine das private Fussballangebot für Italien auf dem ­Murdoch-Kanal «Sky-Calcio» mehr als die gesamten jährlichen Radio- und Fernsehgebühren in der Schweiz.

Grundsätzlich falsch liegt, wer die Unterhaltung ganz aus dem Auftrag des ­öffentlichen Fernsehens ausklammern würde: Denn auch in der Unterhaltung spielt es eine Rolle, ob sie in Hollywood, in Deutschland oder eben in der Schweiz produziert und entsprechend auf ein ­spezifisches Publikum ausgerichtet ist. Und gerade in der Unterhaltung werden zum Teil wichtige gesellschaftliche Muster und Werte verhandelt. Und auch hier ­verhält es sich so, dass viele beliebte Unterhaltungsangebote im TV zu teuer sind, um sie über den Markt finanzieren zu ­können. Erst recht gilt das für die eigenfinanzierten Programmteile, für eigene ­Serien und Filme beispielsweise. Die SRG finanziert heute das Schweizer Filmschaffen jährlich mit rund 40 Millionen Franken. Ohne diese unter anderem über den «pacte de l’audiovisuel» entrichteten Gebührengelder wäre der Schweizer Film tot.

Sollten die Gebühren wegfallen, wäre der grösste Teil des Programmangebots nicht mehr finanzierbar.
Sollten die Gebühren wegfallen, wäre der grösste Teil des Programmangebots nicht mehr finanzierbar.

Unschweizerisches Gedankengut

Die Initianten von No-Billag geben an, sie wollen vor allem ein Mediensystem ohne Gebühren, aber die Texte auf ihrer Website machen einen andern Aspekt sichtbar: Sie zielen auf die Unabhängigkeit der SRG und deren kritischen Journalismus, indem sie die Redaktionen und Journalistinnen und Journalisten der SRG als «staatsabhängig» diffamieren.

Das ist zuerst einmal ein schlechter Witz. Diese Verleumdung aber hat System und legt eine zutiefst unschweizerische Gesinnung der No-Billag-Initianten offen: Der Staat (also die Schweiz) seien nicht wir alle, vertrete nicht die Interessen der Mehrheit, vielmehr wolle «die Politik» die Bürger entmündigen (so nachzulesen auf der «No-Billag»-Website). Und die SRG (benannt als «Staatssender») sei von genau diesem Staat abhängig, ja fungiere gar als «Sprachrohr der Staatsmacht». Das ist eine absurde Verschwörungstheorie. Würden jedoch Medien wie die SRG zerstört werden, würde die Medienvielfalt reduziert und es blieben nur noch Medienhäuser übrig, welche sich kommerziell lohnen. Dann entscheiden allein jene Unternehmer darüber, wie die schweizerische ­Medienlandschaft aussieht, welche diese privaten Medien besitzen. Sie entscheiden dann auch darüber, wie der publizistische Kurs eines Mediums definiert wird, was sich kommerziell rentiert, wo entsprechend investiert oder abgebaut wird und ob allen­falls ­Medienhäuser auch an ausländische Besitzer oder solche mit politischen Zielen ­verkauft werden. Private Medienhäuser bieten selbstverständlich auch gute journalistische Leistungen. Diese sind aber nicht an einen öffentlich definierten Versorgungsauftrag gebunden, der Unabhängigkeit, Vielfalt und Nachhaltigkeit im Medienangebot garantieren soll. Dieser Versorgungsauftrag ist in der Bundesverfassung heute so umschrieben: «Radio und Fernsehen ­tragen zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung bei. Sie berücksich­tigen die Besonderheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone. Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck.» Mit der Annahme der No Billag-Initiative würde er aus der Verfassung wegfallen.